Dringend gesucht: Irritation statt Reflexion

Auf dem Podium: Ernst Szebedits, Rüdiger Suchsland, Ulrich Gregor, Christoph Heubner, Pepe Danquart, Jasmila Zbanic. Foto: © Boris Buchholz

18. Februar 2010
Von Helene Pfeiffer
Von Helene Pfeiffer

Wenn sich ein Filmpreis im Kulturbetrieb 25 Jahre hält und dabei sogar immer wichtiger wird, darf man feiern. Denn auf der Berlinale 25 Jahre lang einen Preis zu vergeben für Filme, die sich gerade nicht durch Stars, Zuschauerzahlen und gewaltige Budgets bemerkbar machen (können), sondern allein herausragen müssen ob ihrer Kunst, überwältigend vom Politischen zu erzählen – das ist ein Innehalten wert und eine Reflexion darüber, was so ein Preis ausrichten kann. Und natürlich auch: anrichten.

Bevor an diesem Sonntag der 25. Friedensfilmpreis der Berlinale in der Akademie der Künste vergeben werden wird, hatte darum die Heinrich-Böll-Stiftung zu einer Diskussion in die niedersächsische Landesvertretung in Berlin eingeladen. Über einen Fakt wurde dort jedoch nicht gestritten – die sechs Künstler, Wissenschaftler und Publizisten auf dem Podium waren sich einig: „Der Friedensfilmpreis ist einer der wichtigsten Preise der Berlinale überhaupt“. So befand es Ulrich Gregor, Gründer und langjähriger Leiter des Internationalen Forums des jungen Films der Berlinale und erntete Kopfnicken auf dem Podium und spontanen Beifall der rund 170 geladenen Gäste. Der Filmwissenschaftler verwies darauf, dass er (als Mitbegründer des Preises) genau wie die Jury-Mitglieder „im besten Sinne Parteigänger des politischen Films“ seien. Der Friedensfilmpreis zeichne sich dadurch aus, dass er – anders als die meisten Trophäen der Berlinale – seine Gewinner sektionsübergreifend quer durch das gesamte Festivalprogramm finden könne. Und die Kriterien dafür, wer ihn bekomme, seien so schlicht wie unbestechlich, sagt Gregor: „Wir suchen Filme, die eine Botschaft haben und die eine außerordentliche Erzählweise dafür finden, diese Botschaft zu vermitteln.“

Nicht immer haben es die Gewinner des Preises danach unbedingt leichter – weder in ihren Heimatländern, deren Missstände sie häufig thematisieren, noch bei den Verleihern. Die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić, die den Preis 2006 für ihren Film Esmas Geheimnis gewann (und dafür ein paar Tage später sogar noch den Goldenen Bären), berichtete, dass ihre Geschichte über eine im Bosnienkrieg vergewaltigte Frau zu Anfeindungen führte. Die Serben unterstellten ihr, damit ein ganzes Volk zu Kriegsverbrechern zu stilisieren. Aber Zbanic, die auf der diesjährigen Berlinale wieder mit einem viel beachteten Film über einen sich radikalisierenden Moslem vertreten ist, steht auch für die politische Kraft und das Engagement, die ein politischer Film entfachen kann: Die 35-Jährige erzählt, wie sie es zusammen mit anderen Aktivisten in einer dreimonatigen Unterschriftenaktion erreicht hat, dass Vergewaltigungsopfer in Bosnien den gleichen Status erhalten wie Bürgerkriegsflüchtlinge und somit Anspruch auf soziale Leistungen des Staates haben, die ihnen zuvor verweigert worden waren. Der Film war ihr Türöffner zur Politik. „Es ist möglich, mit Filmen Wirklichkeit zu verändern“, sagt Zbanic.

Haben Filme also wirklich Macht, fragte Moderator Christoph Heubner, der selbst einer der zehn Juroren für den Preis ist. Der Regisseur, Oscar- und Friedensfilmpreisträger Pepe Danquart wiegt da nachdenklich den Kopf. Ein Film könne sicher mehr ausrichten, sagt er, als das geschriebene Wort, und der Friedensfilmpreis habe ein besonderes Gewicht. „Er kann Prozesse beeinflussen“, ob zum Beispiel ein Film in die Verleihe komme. Aber ob ein Film die Gesellschaft bessert? Danquart hat die Auszeichnung 1994 bekommen für seinen Kurzfilm „Schwarzfahrer“, in dem es um den alltäglichen Rassismus in Deutschland geht. „Es ist erschreckend, wie aktuell dieser Film immer noch ist und auch immer wieder wird“, sagt er.

Anders als die Trophäen aus Cannes, Hollywood oder Venedig ist das Berliner Lob für engagierte, politische Filme nicht immer Garant für einen Erfolg an den Kinokassen. Der Produzent und ehemaliger Verleiher Ernst Szebedits weiß das aus leidvoller Erfahrung. Mit seiner damaligen Firma Pegasos hätten er und sein Kompagnon Filme „genauso ausgesucht wie die Jury des Friedensfilmpreises, nämlich nur das Beste“. Sie suchten Geschichten, die nicht etwas Privates erzählten, sondern die „das Private auf eine Weise erzählten, dass es auf die Ebene des Allgemeingültigen hebt“. Nur kamen zu wenig Zuschauer; Szebedits verkaufte seinen Arthouse-Verleih schließlich an die „Kinowelt“.

Szebedits sagt aber in Berlin: „Dem Friedensfilmpreis kommt das besondere Verdienst zu, auf solche Filme aufmerksam zu machen. Man hat Argumente in der Hand, Verleiher zu überzeugen, diese Filme ins Programm zu nehmen.“ Und mit jedem Jahr und jeden Preisträger mehr gewinne der Preis an Reputation. Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland bestätigt dies auch für die Wahrnehmung in den Medien. „Wenn ein Film einen solchen Preis bekommt, findet er auch den Weg in die Feuilletons.“ Andererseits gebe es durchaus den Reflex in den Redaktionen: „Huch, da geht es ja um Inhalt, ums Gutmenschentum.“ Er verweist aber auf die neuen Medien und dass ausgezeichnete Filme sich auf anderen Vertriebswegen – auf DVD oder als Download - durchaus als „Longrunner“ erweisen können. Er hat sogar einen Vorschlag: „Warum bringt die Böll-Stiftung zum Jubiläum nicht eine DVD-Edition aller Preisträger heraus.“ Offenbar eine gute Idee, denn es brandet sofort Applaus auf.

Der Preis, der 1986 zum ersten Mal und noch in Form einer schlichten Urkunde vor nur 60 Zuschauern vergeben worden war (und dem damaligen Berlinale-Direktor nicht wirklich willkommen war), ist heute mit 5.000 Euro dotiert. Das Preisgeld stellt die Heinrich-Böll-Stiftung zur Verfügung, sie kümmert sich auch um die Verleihungszeremonie am Sonntag. Wer diesmal gewinnt, wird bisher noch nicht verraten. Die Laudatio wird die ehemalige „Spiegel“-Auslandsreporterin und Publizistin Carolin Emcke halten.

Dass die Erfolgsgeschichte des Preises fortgeschrieben wird, steht für seinen Erfinder Ulrich Gregor sowieso fest. Er sieht sogar das Genre des politischen Films im Aufwind und den Trend, dass es eine „regelrechte Sehnsucht“ nach Stoffen gebe, die brisantes historisches Material und Zeitgeschichtliches verwebten. Er verweist auf bisher unbekanntes Dokumentarfilm-Material aus dem Dritten Reich, das jetzt noch entdeckt würde und sehr spannend sei. Sowohl aus dem Publikum wie auch von Rüdiger Suchsland wird Gregor aber ergänzt: „Wir brauchen Filme, die sich in heutige Konflikte einmischen, die widerständig sind und sich an den Verhältnissen reiben.“ Mehr Irritation statt immerzu Reflexion, forderte Suchsland – und traf so zum Schluss den Nerv des Publikums.

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